Giambattista Bodoni 

 geboren in Saluzzo am 16.Februar 1740 
 gestorben in Parma am 30.November 1813
ÜBER SCHRIFT UND TYPOGRAFIE
Auszug aus dem Vorwort des Manuale Tipografico von Giambattista Bodoni

»Ich gebe hier die Früchte des Fleißes und der Arbeit vieler Jahre, welche ich mit Lust und Liebe an eine Kunst gewandt habe, die das vollendete Ergebnis der schönsten, sinnreichsten und nützlichsten Erfindung der Menschheit ist: der Schrift. Ihre vollkommenere Form ist die Kunst des Druckens, sobald es gilt, viele Exemplare des gleichen Textes zu erhalten, mehr noch, wenn es darauf ankommt, unbedingt Gleichartigkeit zu gewährleisten und ganz besonders, wenn es sich um ein Buch handelt, das wert ist, in einer klareren und leichter lesbaren Form vor die Augen der Nachwelt zu kommen. Wer diesen nützlichen Zweck und die ganze Reihe der Mittel betrachtet, durch die wir von der ersten Erfindung der Schriftzeichen vorwärts gekommen sind bis zu der Leichtigkeit, mit der wir heute auf tausend und abertausend regelmäßig bedruckten Blättern die sonst so flüchtigen Worte festzuhalten vermögen, dauerhafter und klarer geprägt als Lippen sie je formen könnten, der kann angesichts einer so großartigen Kunstleistung den Kräften des Menschengeistes seine Bewunderung nicht versagen. Aber es wäre überflüssig, den Wert einer Erfindung beschreiben zu wollen, die schon von vielen eine eingehende Behandlung und ausgiebiges Lob erfahren hat zum unvergänglichen Ruhm des glücklichen Jahrhunderts, das sie nicht nur gemacht, sondern auch so weit vervollkommnet hat, dass den Späteren wenig Raum übrig blieb, daran teilzunehmen. Auch halte ich es nicht für schicklich, des langen und breiten von der eigenen Arbeit zu reden, die ich auf die immer höhere Vollendung der herrlichen Kunst verwandt habe. Wenn Umfang und Ernst dieser Arbeit nicht aus meinem Werke selber spricht, so möchte die Vorrede vergeblich davon Zeugnis zu geben suchen. Besser werde ich meinen Zweck erreichen, wenn ich sie dazu benütze, einiges über die Methoden und Gesichtspunkte zu sagen, nach denen die Kunst sich beständig verfeinert. Ich kann nicht anders als mit großer Liebe von diesen Dingen reden, und wenn eines oder das andere meiner Worte in die Seele des Lesers dringt, sein Interesse erweckt und ihn veranlasst, das Verdienst des Typographen am Buche, besser zu würdigen, so wird die Zahl der Liebhaber wahrhaft guter Ausgaben wachsen und damit auch der Mut und der Wetteifer der Drucker, die ja nicht alle dem Golde mehr nachhängen als dem Ruhm.

Um eine logische Ordnung einzuhalten, bemerke ich, dass man die Typographie auf zweierlei Art fördern kann: durch Verbesserung und durch Erweiterung, zwei Dinge, die zwar in der Praxis eng mit einander verbunden sind, in der Theorie aber, wie mir scheint, bei getrennter Behandlung sich besser erläutern lassen.

Ich beginne also bei dem, was zur Erhöhung der Qualität erforderlich ist. Es ist jedoch nicht meine Absicht, mich über handwerkliche Hilfsmittel zu verbreiten und so die Kunst des Druckens jedem zu lehren, der Lust hat sie zu üben. Ich werde mich lediglich bemühen, den Begriff des Fortschritts, wie er sich im fertigen Werke zeigt, zu erklären und in der Schönheit gut gedruckter Bücher die Meisterschaft der daran, beteiligten Künstler aufzuzeigen.

Der Begriff des Schönen darf natürlich nicht mit dem des Guten und Nützlichen verwechselt werden. Aber es sind doch im Grunde gleichsam drei verschiedene Ansichten einer und derselben Sache, von verschiedenen Seiten gesehen. Ein gut gedrucktes Buch nützt um so mehr, je mehr Menschen es lesen, je öfter, je lieber und je leichter es gelesen wird. Denn mit der Zahl der Leser vervielfältigt sich zugleich das Vergnügen und der Gewinn, den sie aus der Lektüre ziehen, vorausgesetzt, dass das Buch gut ist. Die Anpassung an die Beschaffenheit unserer Augen, die uns den einen Druck leserlicher erscheinen lässt als den andern, ruft gemeinsam mit der Proportionierung der Einzelteile den Eindruck der Schönheit hervor; Anmut und Klarheit erfreuen das Auge beim ersten Ansichtigwerden wie bei längerer Betrachtung. Sehr oft sind wir indessen genötigt, ein und dasselbe Buch lange Zeit vor Augen zu haben. Wirkt dies nun auf das Auge weniger angenehm und führt es schneller zur Ermüdung als ein anderes, so wird man dem Druck auch die Schönheit absprechen müssen. Die Sehkraft ist sehr ungleichmäßig verteilt; nicht alle Augen werden daher von einer bestimmten Druckschrift in gleicher Weise befriedigt oder angegriffen. Dies ist einer der Gründe, weshalb man nicht alle Bücher in der gleichen Art druckt, sondern allgemein drei verschiedene Arten oder Gattungen von Schönheit im Buchdruck unterscheidet: eine prächtige in großen Formaten für Weitsichtige, eine zierliche in kleinen für Kurzsichtige und eine mittlere, die für alle passt und die ich einfach ›schön schlechthin‹ nennen möchte.

Wenn aber der Luxus mehr als irgend sonstwo in der Bibliothek zum Vorschein kommt, so ist dies ein sicheres Zeichen einer wahren Liebe zu den schönen Wissenschaften. Und wenn, um von ihr Zeugnis abzulegen, die Wohlhabenden nach erlesenen, kostbar gedruckten Büchern suchen, so ist es Sache der typographischen Kunst, sie ihnen zu verschaffen. In diesem Falle deckt sich dann das Schöne mit dem Großen, während es sonst, für den bequemen Gebrauch, im Kleinen gesucht werden muss.
Ein Buch wird um so mustergültiger, je reiner die einfache Schönheit der Typen in ihm zur Wirkung kommt. Aus ihr spricht, in ihr beruht, mit einem Worte, der Ruhm der Buchkunst. Und das mit Recht; denn einzig die Typen bestehen notwendig ganz durch sich selbst, alles übrige aber erst durch sie. Es ist wohl angebracht, dies etwas eingehender zu begründen und die vier verschiedenen Quellen anzuführen, aus denen, wie ich glaube, all ihre Schönheit abzuleiten ist.
Es ist ein natürlicher Vorzug des Druckes, dass jeder Buchstabe immer wieder die gleiche Form erhält, da er in derselben Matrize zu Tausenden gegossen und von einem und demselben Stempel geschlagen wird. Von der Geschicklichkeit des Stempelschneiders hängt es ab, dass die Maße und Einzelteile, die mehreren Buchstaben gemeinsam sein können, immer bei allen genau dieselben sind. Und diese exakte Regelmäßigkeit ist dem Auge so angenehm, dass sie fast allein genügt, um ein Druckwerk schön erscheinen zu lassen.
Keine andere Kunst hat ja mehr Berechtigung, ihren Blick auf die zukünftigen Jahrhunderte zu richten als die Typographie. Möchte doch diese Kunst, sinnvoll, nützlich und schön wie sie ist, auch allenthalben mit der ihrer würdigen Geschicklichkeit und Liebe geübt, mit Geschmack und gutem Urteil gefördert werden! Aber es stünde mir schlecht an, mit Worten mehr zu ihrer Empfehlung zu tun als mit Taten. Ich will daher schließen und dabei den Leser bitten, dass er diese meine Versuche freundlich und aufmerksam ansehe und von den mancherlei anderen von mir gedruckten Dingen wenigstens die schönsten kennen zu lernen suche.«